So starben die römischen Kaiser. Historische Erzählungen
Titus – Das Entzücken des Menschengeschlechts
79–81 n. Chr.
Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle? Titus mein Name. Eigentlich Titus Flavius Vespasianus, wie vor mir mein Vater und vor diesem mein Großvater, wie es altrömischem Brauch entspricht, dem sich unsere Familie seit jeher verpflichtet fühlt.
Aber bleiben wir bei Titus. Der Einfachheit halber. Und auch, weil ich, wie man so schön sagt, unter diesem Namen in die Geschichte eingehen werde. In die Geschichte eingehen: Wie das klingt! Als schritte man durch ein mächtiges Tor in einen Palast mit unzähligen Zimmern. Und eines davon ist reserviert. Oh, für mich keines der Prunkgemächer, nein! Eine kleine, bescheidene Kammer nur, irgendwo im Verborgenen, die Wände grau und fensterlos, und dennoch ein Raum mit der Aussicht zu überleben, der Vergänglichkeit ein Schnippchen zu schlagen und dem Vergessen. Also werde auch ich durch dieses Tor schreiten, bald.
Aber noch bin ich nicht tot. Meiner Sinne noch mächtig. Noch lebe ich, wenn ich auch den Fährmann schon sehe. Gerade legt er sein Boot an. Nun ist es nur noch ein kleiner Schritt …
Mit der Ungeduld der Jugend drängt mein Bruder auf den Thron, Domitian, und er weiß nicht, was er sich damit antut. Noch nicht, aber ich bin sicher, auch er wird es erfahren. Von Kind an ist er begierig auf die Herrschaft gewesen. In wenigen Stunden wird sich sein Traum erfüllen.
Vor Tagen hat mich ein heftiges Fieber befallen, das allen Behandlungsversuchen unserer Ärzte trotzt. Sie wissen noch nicht, dass ich daran sterben werde, aber vielleicht ahnen sie, dass Domitian mein Ende beschleunigen und mich damit von meinen Schmerzen erlösen wird. Seit langem bin ich leidend an Körper, Seele und Geist. Wie so viele Römer leide ich vor allem an mir selbst. Und es ist kein Gott, der sich meiner erbarmte.
Wollen sie womöglich meinem Nachfolger gefallen? Ob sie sich deshalb so wenig Mühe geben, mir zu helfen? Es ist nur allzu menschlich, sich lieber der aufgehenden Sonne zuzuwenden, als sie sinken zu sehen.
Wie auch immer: Ich habe es nicht verdient, jetzt schon sterben zu müssen. Mit 41 Jahren. Nach nicht einmal zweijähriger Herrschaft. Ich habe mir nichts vorzuwerfen, nichts zu bereuen. Außer vielleicht das eine …
Aber lassen wir das! Der geneigte Leser möge sich selbst ein Bild machen. Der geneigte Leser möge selbst urteilen.
Seit damals, seit ich an Neros Tafel von dem Gift gekostet habe, das meinem Freund, dem Prinzen Britannicus, das Leben nahm, seitdem sterbe ich. Jeden Tag ein bisschen mehr. Wie lange ist das her? Ein Viertel Jahrhundert? Oder mehr? Ich weiß es nicht.
Aber ich weiß, wie krank ich bin. Dass mir mein Körper öfter und öfter den Dienst versagt, mich schmählich im Stich lässt.
Ich war gerade 30, als mir Vater Vespasian den Oberbefehl über die römischen Truppen in Judäa übertrug. Dort herrschte das Chaos. Wieder einmal hatten sich die freiheitsliebenden Juden gegen uns Römer erhoben, wollten immer noch nicht einsehen, wie überlegen unsere Kultur der ihrigen ist.
Drei Jahre zuvor hatte Kaiser Nero meinen Vater in den Osten entsandt mit dem Auftrag, die Revolte zu ersticken und in Judäa Ordnung zu schaffen. Aber der Kampf hatte sich als überraschend zäh erwiesen, und als Vespasian, inzwischen zum Kaiser ausgerufen, nach Rom zurückkehrte, lag es an mir, mich des Problems anzunehmen, das sich allmählich zu einer ernsthaften Gefahr für den Bestand des Imperiums auswuchs. Aber ein Titus ließ sich nicht so leicht unterkriegen. In meinem Vater hatte ich den besten aller Lehrmeister gehabt, ein musterhaftes Vorbild, dem nachzueifern für jeden Römer eine Ehre war. Es dauerte nicht lange, da lag das ganze Land besiegt, Jerusalem in Trümmern, der Tempel des Herodes, eines der herrlichsten Bauwerke der Erde, bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Die Götter allein wissen, dass diese Schändung nicht auf mein Konto ging.