Pflegegrade und das
Begutachtungs-Instrument
Praxishandbuch für die erfolgreiche Umsetzung im Pflege- und Betreuungsprozess
Inhalt
Einleitung
1Vorwort
2Wegweiser durch das Buch
3Wichtige Hinweise/Quellennachweise
Danksagung
1Pflegebedürftigkeitsbegriff und Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit
1.1Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff
1.2Praxistipps – Ihre Strategie
2Die Pflegegrade
2.1Unterscheidung Hilfebedürftigkeit und Pflegebedürftigkeit
2.2Einstufung Hilfebedürftigkeit und Pflegebedürftigkeit
2.3Die 4-stufige Skala zur Beurteilung der Selbständigkeit
2.4Unmittelbare Eingriffsbereitschaft
2.5Praxistipps und Formulierungshilfen
2.5.1Anwendung der Formen der Hilfe bei der Beschreibung bzw. Beurteilung der Selbständigkeit
2.5.2Zuordnung der Formen der Hilfe zu den Selbständigkeitsbeurteilungen
3Die Pflegebegründenden Diagnosen
3.1Ermittlung der pflegebegründenden Diagnosen durch die Begutachtungsinstanz
3.2Häufige Fehlerquellen
3.3Praxistipps und Formulierungshilfen
4Modul 1: Mobilität
4.1Auszug aus dem Gutachten
4.2Beschreibung des Moduls und Formulierungshilfen
4.3Bewertung des Moduls
4.4Mögliche Fehler, deren Konsequenzen und Vorbeugung
5Modul 2: Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
5.1Auszug aus dem Gutachten
5.2Beschreibung des Moduls und Formulierungshilfen
5.3Bewertung des Moduls
5.4Mögliche Fehler, deren Konsequenzen und Vorbeugung
6Modul 3: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
6.1Auszug aus dem Gutachten
6.2Beschreibung des Moduls und Formulierungshilfen
6.3Bewertung des Moduls
6.4Mögliche Fehler, deren Konsequenzen und Vorbeugung
7Modul 4: Selbstversorgung
7.1Auszug aus dem Gutachten
7.2Beschreibung des Moduls und Formulierungshilfen
7.3Bewertung des Moduls
7.4Mögliche Fehler, deren Konsequenzen und Vorbeugung
8Modul 5: Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
8.1Auszug aus dem Gutachten
8.2Beschreibung des Moduls und Formulierungshilfen
8.3Bewertung des Moduls
8.4Mögliche Fehler, deren Konsequenzen und Vorbeugung
9Modul 6: Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
9.1Auszug aus dem Gutachten
9.2Beschreibung des Moduls und Formulierungshilfen
9.3Bewertung des Moduls
9.4Mögliche Fehler, deren Konsequenzen und Vorbeugung
10Erhebung weiterer versorgungsrelevanter Informationen
10.1Außerhäusliche Aktivitäten
10.1.1Auszug aus dem Gutachten
10.1.2Beschreibung und Formulierungshilfen
10.2Haushaltsführung
10.2.1Auszug aus dem Gutachten
10.2.2Beschreibung und Formulierungshilfen
10.3Bewertung
10.4Mögliche Fehler, deren Konsequenzen und Vorbeugung
11Drei Kardinalfehler in der Praxis, die zu Fehleinstufungen führen können
11.1Kardinalfehler 1:
Unzureichende Darlegung von Fähigkeiten und Beeinträchtigungen in der Pflege- und Betreuungsdokumentation
11.2Kardinalfehler 2:
Unzureichende Darlegung von Fassadenverhalten
11.3Kardinalfehler 3:
Unzureichende Darlegung von unterschiedlichen Tagesformen
12Das Bewertungssystem
12.1Gesamtbewertungssystem
12.2Pflegegrad 5 und die besondere Bedarfskonstellation
13Integration in den Pflege- und Betreuungsprozess
13.1Zuordnung der Module des Begutachtungs-Instruments zur SIS
13.2Zuordnung der Module des Begutachtungs-Instruments zu den AEDL‘s
13.3Vorgehen bei der Integration in SIS bzw. AEDL’s
14Integration in das Gesamtsystem
14.1Projektmanagement – Übersicht
14.2Projektmanagement – Einzelschritte
Die Autorin
Einleitung
Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher, männlicher und gender Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für alle Geschlechter.
1Vorwort
Der Pflegebedürftigkeitsbegriff erfasst den Menschen in seiner Ganzheit, was als äußerst positiv zu werten ist. Die Selbständigkeit und die Fähigkeiten sämtlicher Lebensbereiche werden differenziert hinterfragt und bewertet. Die „weichen Begrifflichkeiten“ bergen jedoch auch eine sehr große Gefahr von Fehleinschätzungen. Dies wird oftmals noch dadurch verstärkt, dass sich der Pflegebedürftige während der Begutachtung in der Regel in seiner besten Tagesform befindet. Zeigt sich dann beispielsweise auch noch ausgeprägtes Fassadenverhalten, besteht ein erhebliches Risiko, dass bzgl. der noch bestehenden Fähigkeiten bzw. der Beeinträchtigungen ein falscher Eindruck im Rahmen der Begutachtungen entstehen kann, wodurch Fehleinstufungen nicht auszuschließen sind.
Das gleichzeitig sehr komplexe Modul- und Bewertungssystem stellt sehr hohe Anforderungen an die Mitarbeiter in Bezug auf die Vorbereitung der Begutachtung und die fachlich kompetente Argumentation in Begutachtungssituationen, sowie hinsichtlich einer überzeugenden Gesprächsführung bei Einstufungen in die Pflegegrade.
Auf der sicheren Seite …
Ein erfolgreiches Einstufungsmanagement in Pflegegrade setzt eine systematische Steuerung voraus. Setzen Sie sich intensiv mit dem Pflegebedürftigkeitsbegriff, den Inhalten der Begutachtungs-Richtlinien und den daraus resultierenden Anforderungen auseinander!
…aus der Praxis – für die Praxis…
Dieses Buch unterstützt Sie in Form eines praktischen Handlungsleitfadens umfassend dabei
sich mit dem Pflegebedürftigkeitsbegriff wirksam auseinanderzusetzen
das Begutachtungs-Instrument in seiner Komplexität kennenzulernen und unter Berücksichtigung Ihrer individuellen Einrichtungsbedürfnisse, inhaltlich sinnvoll in die eigenen Systeme zu implementieren
sich bestens auf Begutachtungen vorzubereiten
eine erfolgreiche Grundlage für das Einstufungsmanagement in Pflegegrade zu schaffen und damit eine optimale Qualität Ihrer Leistungen und Wirtschaftlichkeit zu sichern
Danksagung
Mein ausdrücklicher Dank gilt Herrn Steve Schrader und Herrn Klaus Mencke, Vincentz Network, die mir das Schreiben dieses Buches überhaupt ermöglicht haben.
Mein ganz besonderer Dank gilt zudem meinem wundervollen Mann Josef Franke, der mich auch in der intensiven Zeit der Überarbeitung und Anpassung meines Buches „NBA und Pflegegrade“ und im Rahmen der Aktualisierung des Buches „Pflegegrade und die neuen Begutachtungs-Richtlinien“ wieder hervorragend unterstützt hat.
1Pflegebedürftigkeitsbegriff und Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit
1.1Der Pflegebedürftigkeitsbegriff
§ 14 SGB XI – Begriff der Pflegebedürftigkeit
(1) Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.
(2) Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien:
1. Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;
2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch;
3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;
4. Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma. Ernährung parenteral oder über Sonde. Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen;
5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen:
a) in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel,
b) in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung
c) in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie
d) in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;
6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sich beschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteter Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.
(3) Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, die dazu führen, dass die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigt werden kann, werden bei den Kriterien der in Absatz 2 genannten Bereiche berücksichtigt.
… das heißt zusammenfassend:
–Pflegebedürftig sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit und Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. –Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Belastungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. |
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–Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, bestehen. |
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–Grundsätzlich gilt: dass vorübergehende (voraussichtlich weniger als sechs Monate) oder vereinzelt (weniger als einmal pro Woche) auftretende Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten nicht zu berücksichtigen sind. Die Regelmäßigkeit mit mindestens 1 x wöchentlich bezieht sich hier auf die Module 1, 2, 4 und 6. Die Module 3 und 5 berechnen sich auf der Grundlage von Häufigkeiten, d.h. in diesen beiden Modulen sind die entsprechenden Besonderheiten zu beachten. |
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–Die Außerhäuslichen Aktivitäten und die Haushaltsführung definieren die Hilfebedürftigkeit. Unter Modul 7 und 8 werden ausschließlich weitere versorgungsrelevante Informationen erhoben, die jedoch nicht zu einer Anrechnung von Punkten bei der Berechnung des Pflegegrades führen. |
Maßstab in der Begutachtung ist:
der Grad der Selbständigkeit bei der Durchführung von Aktivitäten bzw. Gestaltung der Lebensbereiche
Erfassung der Einbußen in der Selbständigkeit mit daraus resultierender Abhängigkeit von personeller Hilfe
umfassende Sicht in Bezug auf alle relevanten Bereiche der elementaren Lebensführung
die Ressourcen stehen im Vordergrund – was kann jemand? was kann jemand nicht?
§ 15 SGB XI – Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit, Begutachtungsinstrument
(1) Pflegebedürftige erhalten nach der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten einen Grad der Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad). Der Pflegegrad wird mithilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments ermittelt.
(2) Das Begutachtungsinstrument ist in sechs Module gegliedert, die den sechs Bereichen in § 14 Absatz 2 entsprechen. In jedem Modul sind für die in den Bereichen genannten Kriterien die in Anlage 1 dargestellten Kategorien vorgesehen. Die Kategorien stellen die in ihnen zum Ausdruck kommenden verschiedenen Schweregrade der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten dar. Den Kategorien werden in Bezug auf die einzelnen Kriterien pflegefachlich fundierte Einzelpunkte zugeordnet, die aus Anlage 1 ersichtlich sind. In jedem Modul werden die jeweils erreichbaren Summen aus Einzelpunkten nach den in der Anlage 2 festgelegten Punktbereichen gegliedert. Die Summen der Punkte werden nach den in ihnen zum Ausdruck kommenden Schweregraden der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten wie folgt bezeichnet:
1. Punktbereich 0: keine Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
2. Punktbereich 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
3. Punktbereich 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
4. Punktbereich 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten und
5. Punktbereich 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten.
Jedem Punktbereich in einem Modul werden unter Berücksichtigung der in ihm zum Ausdruck kommenden Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sowie der folgenden Gewichtung der Module die in der Anlage 2 festgelegten, gewichteten Punkte zugeordnet. Die Module des Begutachtungsinstruments werden wie folgt gewichtet:
1. Mobilität mit 10 Prozent,
2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen zusammen mit 15 Prozent,
3. Selbstversorgung mit 40 Prozent,
4. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen mit 20 Prozent,
5. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte mit 15 Prozent.
(3) Zur Ermittlung des Pflegegrads sind die bei der Begutachtung festgestellten Einzelpunkte in jedem Modul zu addieren und dem in der Anlage 1 festgelegten Punktbereich sowie den sich daraus ergebenden gewichteten Punkten zuzuordnen. Den Modulen 2 und 3 ist ein gemeinsamer gewichteter Punkt zuzuordnen, der aus den höchsten gewichteten Punkten entweder des Moduls 2 oder des Moduls 3 besteht. Aus den gewichteten Punkten aller Module sind durch Addition die Gesamtpunkte zu bilden. Auf der Basis der erreichten Gesamtpunkte sind pflegebedürftige Personen in einen der nachfolgenden Pflegegrade einzuordnen:
1. ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
2. ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
3. ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
4. ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
5. ab 90 bis 100 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung.
(4) Pflegebedürftige mit besonderen Bedarfskonstellationen, die einen spezifischen, außergewöhnlich hohen Hilfebedarf mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung aufweisen, können aus pflegefachlichen Gründen dem Pflegegrad 5 zugeordnet werden, auch wenn ihre Gesamtpunkte unter 90 liegen. Der Medizinische Dienst Bund konkretisiert in den Richtlinien nach § 17 Absatz 1 die pflegefachlich begründeten Voraussetzungen für solche besonderen Bedarfskonstellationen.
(5) Bei der Begutachtung sind auch solche Kriterien zu berücksichtigen, die zu einem Hilfebedarf führen, für den Leistungen des Fünften Buches vorgesehen sind. Dies gilt auch für krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen. Krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen sind Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen der behandlungspflegerische Hilfebedarf aus medizinisch-pflegerischen Gründen regelmäßig und auf Dauer untrennbarer Bestandteil einer pflegerischen Maßnahme in den in § 14 Absatz 2 genannten sechs Bereichen ist oder mit einer solchen notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht.
(6) Bei pflegebedürftigen Kindern wird der Pflegegrad durch einen Vergleich der Beeinträchtigungen ihrer Selbständigkeit und ihrer Fähigkeiten mit altersentsprechend entwickelten Kindern ermittelt. Im Übrigen gelten die Absätze 1 bis 5 entsprechend.
(7) Pflegebedürftige Kinder im Alter bis zu 18 Monaten werden abweichend von den Absätzen 3, 4 und 6 Satz 2 wie folgt eingestuft:
1. ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 2,
2. ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 3,
3. ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 4,
4. ab 70 bis 100 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 5.
… das heißt zusammenfassend:
1.2Praxistipps – Ihre Strategie
Ihre Strategie – die Grundlage für ein optimales Einstufungsmanagement in Pflegegrade
Es empfiehlt sich die gesamten Aktivitäten zur weiteren Optimierung Ihres Pflegegradmanagements in Form eines Projekts zu lenken (siehe Kapitel 14)
Ermitteln Sie den Ist-Zustand der Aussagekraft Ihrer Pflege- und Betreuungsdokumentation in Ihrer Einrichtung und werten Sie das Ergebnis aus.
Überführen Sie erkannte Handlungsbedarfe in eine systematisches Maßnahmenmanagement. Dabei hinterfragen Sie folgende, Bedarfe / Notwendigkeiten:
Überarbeitung Ihrer Prozesse in Bezug auf die Integration der „Sprache der Begutachtungs-Richtlinien“
Erarbeitung von Instrumente, die Sie für die Darlegung angemessener Pflegegrade benötigen
Durchführung flächendeckender Schulungen in Bezug auf das Pflegegradmanagement und eine kompetente und erfolgreiche Vorbereitung auf Begutachtungen. Beachten Sie, dass neben den theoretischen Grundlagen und der praktischen Umsetzung der Begutachtungsvorbereitung auch Themen zur Gesprächsführung in Begutachtungssituation relevant sind; beziehen Sie dabei auch Pflegehelfer und weitere relevante Bereiche, z. B. Mitarbeiter aus der sozialen Betreuung und Beschäftigung (siehe Kapitel 9: Modul 6), ein
Durchführung begleitende Anleitungen und Beratungen Ihrer Mitarbeiter
Es empfiehlt sich, die Schulungen zum Pflegegradmanagement und zur Gesprächsführung in Begutachtungssituationen mindesten 1 x im Jahr/alle 2 Jahre als feste Pflicht-Fortbildung für alle relevanten Mitarbeiter in Ihren prospektiven Fortbildungsplan zu integrieren.
2Die Pflegegrade
2.1Unterscheidung Hilfebedürftigkeit und Pflegebedürftigkeit
Aus den Begutachtungs-Richtlinien
Das Begutachtungs-Instrument innerhalb der aktuellen Begutachtungs-Richtlinien berücksichtigt sowohl körperliche Beeinträchtigungen, als auch kognitive / psychische Einbußen und Verhaltensauffälligkeiten, die einen spezifischen Unterstützungsbedarf nach sich ziehen und/oder für die alltägliche Durchführung der Pflege ein erhebliches Erschwernis darstellen können. Einbezogen wird auch die Teilnahme an sozialen, kulturellen und weiteren außerhäuslichen Aktivitäten.
Unterscheidung Hilfebedürftigkeit und Pflegebedürftigkeit:
Hilfebedürftigkeit: Hilfebedürftigkeit ist definiert als Beeinträchtigung der Selbständigkeit, die personelle Hilfe bei der Haushaltsführung und / oder außerhäuslichen Aktivitäten notwendig macht. Die Abgrenzung zur Pflegebedürftigkeit liegt darin begründet, dass die in diesem Bereich erforderlichen Hilfen primär keinen pflegerischen Charakter haben. Es handelt sich vielmehr um Formen der hauswirtschaftlichen Unterstützung und um soziale Hilfen kompensatorischer und beratender Art. Die Erhebung erfolgt unter dem Punkt „weitere versorgungsrelevante Informationen“.
Pflegebedürftigkeit: Die Pflegebedürftigkeit setzt sich aus der Einstufung der Module 1 – 6 zusammen. Die einzelnen Module fließen in unterschiedlicher Gewichtung (siehe Kapitel 12) in die Gesamtbewertung ein.
Zuordnung der Module:
Modul 1:Mobilität Modul 2:Kognitive und kommunikative Fähigkeiten Modul 3:Verhaltensweisen und psychische Problemlagen Modul 4:Selbstversorgung Modul 5:Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen Modul 6:Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte |
Pflegebedürftigkeit |
|
Außerhäusliche Aktivitäten Haushaltsführung |
Hilfebedürftigkeit – weitere versorgungsrelevante Informationen |
2.2Einstufung Hilfebedürftigkeit und Pflegebedürftigkeit
Hilfebedürftigkeit
Die Einschränkungen innerhalb der außerhäuslichen Aktivitäten und der Haushaltsführung fließen nicht in die Ermittlung der Pflegegrade ein. Die Einschätzung der Selbständigkeit darin können aber für die individuelle Versorgungsplanung und / oder Beratung wichtig sein.
Pflegebedürftigkeit
Grad der Pflegebedürftigkeit |
||
Pflegebedürftigkeit liegt vor, wenn der Gesamtpunktwert mindestens 12,5 Punkte beträgt Es können maximal 100 Punkte erreicht werden: |
||
Pflegegrade |
Definition |
Punktewert |
Pflegegrad 1 |
geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten |
12,5 – unter 27 |
Pflegegrad 2 |
erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten |
ab 27 – unter 47,5 |
Pflegegrad 3 |
schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten |
ab 47,5 – unter 70 |
Pflegegrad 4 |
schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten |
ab 70 – unter 90 |
Pflegegrad 5 |
schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung |
ab 90 –100 sowie besondere Bedarfskonstellation (siehe Kapitel 12.2) |
2.3Die 4-stufige Skala zur Beurteilung der Selbständigkeit
Definitionen:
Selbständigkeit ist definiert als Fähigkeit einer Person, eine Handlung bzw. Aktivität alleine, d. h. ohne Unterstützung durch andere Personen oder unter Nutzung von Hilfsmitteln durchzuführen. Dementsprechend liegt eine Beeinträchtigung der Selbständigkeit vor, wenn personelle Hilfe erforderlich ist. Unter personeller Hilfe versteht man alle unterstützenden Handlungen, die eine Person benötigt, um die betreffenden Aktivitäten durchzuführen. Die Beurteilung erfolgt auch dann, wenn die Person die betreffende Aktivität in ihrem Lebensalltag nicht (mehr) durchführt (z. B. Treppensteigen, Duschen und Baden). Ob personelle Hilfe durch Pflegepersonen oder Pflegekräfte erbracht wird, ist für die Bewertung nicht relevant. In der Regel sind für die Umsetzung der Aktivität sowohl somatische als auch mentale Fähigkeiten erforderlich.
Die Beurteilung der Selbständigkeit erfolgt in den Modulen 1, 4 und 6, sowie in Modul 5 unter Punkt 4.5.16 mittels einer 4-stufigen Skala und umfasst folgende Ausprägungen:
0 = selbständig
1 = überwiegend selbständig
2 = überwiegend unselbständig
3 = unselbständig
Bei manchen Personen kommen Beeinträchtigungen der Selbständigkeit bei einer Aktivität zwar regelmäßig mindestens einmal wöchentlich aber nicht täglich vor oder sie treten in wechselnd starker Ausprägung auf. In diesen Fällen ist bei der Entscheidung zwischen „überwiegend selbständig“ und „überwiegend unselbständig“ auf die Gesamtheit dieser Aktivität im Wochenverlauf abzustellen.
Achtung: Beachten Sie dies bzgl. das Kapitel 11.3 auf Seite 147 und vermeiden Sie diesen Kardinalfehler!
0 = selbständig:
Die Person kann die Handlung beziehungsweise Aktivität in der Regel selbständig durchführen. Möglicherweise ist die Durchführung erschwert oder verlangsamt oder nur unter Nutzung von Hilfs-/Pflegehilfsmitteln möglich. Entscheidend ist jedoch, dass die Person keine personelle Hilfe benötigt. Vorübergehende oder nur vereinzelt auftretende Beeinträchtigungen sind nicht zu berücksichtigen.
1 = überwiegend selbständig:
Die Person kann den größten Teil der Aktivität selbständig durchführen. Dementsprechend entsteht nur geringer, mäßiger Aufwand für die Pflegeperson. Überwiegend selbständig ist eine Person also dann, wenn lediglich folgende Hilfestellungen erforderlich sind:
Unmittelbares Zurechtlegen, Richten von Gegenständen meint die Vorbereitung einer Aktivität durch Bereitstellung sächlicher Hilfen, damit die Person die Aktivität dann selbständig durchführen kann Dabei wird vorausgesetzt, dass die Umgebung der antragstellenden Person so eingerichtet wird, dass die ...
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