Mörderische Nähe. Sophie Martens - Von Fall zu Fall
Auf der Rückfahrt zum Herrenhaus am See zeigte sich Richard weit offener und umgänglicher. Sophie ging davon aus, dass Vera dem Vater gut zugeredet hatte.
„Wir müssen noch kurz an der Wache anhalten, damit man uns den Ermittlungsstand mitteilen kann.“
Sophies Vater hatte einen Anruf von der Polizei erhalten, nach dem die Spezialisten für Verkehrsunfälle mit den Untersuchungen fertig waren und man der Familie deren Erkenntnisse mitteilen wollte.
Als Sophie aus dem Wagen stieg und zum Gebäude des Amts¬gerichts hinüberschaute, erinnerte sie sich an einige Prozesse, die sie in Begleitung von Gero Haller dort verfolgt hatte. Dann betraten sie die Polizeistation und wurden umgehend ins Dienstzimmer des Revierleiters Faber geführt. Sophie bezweifelte instinktiv, dass diese besonders fürsorgliche Behandlung jedem Normalbürger ebenfalls zustand. Einmal mehr wurde ihr bewusst, wie einflussreich und mächtig ihre Familie war.
„Dann war es also tatsächlich ein unglücklicher Unfall“, fasste Richard zwanzig Minuten später das Ergebnis zusammen.
Während der Hauptkommissar hinter dem Schreibtisch bestätigend nickte, stiegen in Sophie einige Fragen auf.
„Warum schließen die Experten aus den Spuren auf einen Unfall? Sollte sich eine Absicht hinter dem Abdrängen des Wagens meiner Schwester verbergen, würde die Spurenlage doch genauso aussehen, oder?“
Celia starrte ihre Mutter ungläubig an, doch Richards Miene wurde ganz starr.
„Sophie!“
Verwundert schaute sie ihren aufgebrachten Vater an, der ihren Überlegungen offenbar überhaupt nichts abgewinnen konnte.
„Im Prinzip haben Sie recht, Frau Staatsanwältin. Was allerdings gegen eine absichtliche Abdrängung spricht, ist das fehlende Motiv des Unfallgegners. Gibt es da etwas, worüber wir bislang keine Kenntnis haben?“
Hauptkommissar Faber schaute von Sophie zu Richard, der entschieden den Kopf schüttelte.
„Nun, dann muss ich Ihnen sicherlich nicht erklären, warum die Kollegen keinen Anfangsverdacht für eine weitergehende Ermittlung begründen können.“
Der Revierleiter lehnte sich mit hochgezogenen Augenbrauen zurück, bevor er fortfuhr.
„Selbstverständlich verfolgen wir die Fahrerflucht weiter, aber eben keinen Fall von Mordversuch.“
Sophie bat um eine umfassende Einsicht in die Ermittlungsakten, was ihr einen weiteren erbosten Seitenblick ihres Vaters einbrachte. Celia verfolgte das Gespräch mit sichtlicher Verwirrung, hielt sich aber raus.
„Meines Wissens sind Sie in Berlin-Mitte bei der Staatsanwaltschaft, Frau Martens. Solange es keine Verbindung zu Ihrem Zuständigkeitsbereich gibt, darf ich Ihrem Ansinnen leider nicht entsprechen. Ich bedaure sehr, Herr Martens.“
Sophie zuckte zusammen, als der Hauptkommissar sich übergangslos wieder an ihren Vater wandte. Es war offensichtlich, wer für Faber die wichtigere Ansprechperson im Raum war.
„Dazu besteht kein Anlass, Herr Faber. Ich bin überzeugt davon, dass Sie und Ihre Mitarbeiter hervorragende Arbeit geleistet haben. Vielen Dank für Ihre Mühe.“
Hilflos musste Sophie sich ebenfalls erheben, als Richard aufstand und dem Hauptkommissar die Hand reichte. Sophie verstand die Haltung ihres Vaters überhaupt nicht, dennoch sparte sie sich weitere Einwürfe.
Auf dem Weg zum Wagen hielt Celia ihre Mutter am Arm fest.
„Ich möchte mich noch mit einigen Freunden in der Stadt treffen. Geht das in Ordnung?“
Sophie war dermaßen von der Frage ihrer Tochter überrascht, dass sie stumm nickte. Celia hatte in der jüngeren Vergangenheit selten nach ihrer Erlaubnis gefragt. Bevor ihre Tochter jedoch nach dem erforderlichen Geld für den Bus fragen konnte, drückte Richard seiner Enkelin einige Geldscheine in die Hand.
„Wir essen um neunzehn Uhr, junge Dame. Ich erwarte, dass du pünktlich im Herrenhaus eintriffst. Versprochen?“
Celia umarmte ihren Großvater und versprach zu Sophies Verblüffung, rechtzeitig zum Abendessen zurück zu sein.