Immer wieder mußte ich beim Lesen innehalten. Die Wiederbetrachtung meiner frühen Gedichte geriet mir schnell zur Wiederentdeckung. Ich schaute diese Gedichte an wie Fundstücke aus einer Steinzeit, die mal gerade 20 Jahre zurückliegt: Wieviel Goldrausch, Ungeduld und Kammerflimmern steckt in diesen unbekümmerten Versen! Die erfrischende Unschuld täuscht fast darüber hinweg, wie lange es eigentlich gedauert hat, eine eigene Stimme herauszubilden, wieviel störrische Beharrlichkeit dazu notwendig war. Aber ich hoffe, die Leser spüren in diesem Gedichtband etwas von der Geduld und Hartnäckigkeit, die es brauchte, um diesen eigenen, unverwechselbaren Ton zu finden.
H.O.
An unseren Lippengrenzen (1982)
…bloß nicht vom hörensagen
ins bleibenlassen leben…
Gerhard Falkner
Graugetigerte Nachmittage katzbuckeln
jetzt wieder um die Nächte
mit ihren schwefligen Stunden,
diesem lichtscheuen Gesindel.
Ich sitze hier am Fenster
mit kalenderverdorbenem Blick
mich nur schnell verabschieden
von den Tollkirschen des Sommers
und den Rosinen im Kopf.
Mit euch hätte ich gern noch etwas
herumgetändelt, mich einfach
in die Binsen gehen lassen, mich
an den Tag verramscht, schon
klagt der November sein Recht ein
mit drahtkaltem Akkord.
Rötliche Weite
undeutlich ins Licht getuscht
hinterm Horizont noch
duckt sich der Tag
einer von diesen
die sich erst spät
aus Nebeln entblättern
Stück für Stück freigeben
Häuser und Straßen
in weichem Übergang zum Mittag
spurlos verschwinden.
Morgens der Himmel marzipanfarben
festgenagelt von Türmen, die den
Ausnahmezustand einläuten.
Weihwasser in den Pfützen, ein paar
Spatzen bekreuzigen sich.
Schwer atmen satte Garagen und
reich gedeckte Dächer.
Nachmittags im Kirchhof die Dorfjugend
geplustert auf ihren Sätteln, wartend
auf ein Stichwort. Hier sind
alle Versprechen verklinkert,
danach kräht kein Hahn mehr,
sanft verflüstert der Wind den Tag.
Von Zaun zu Zaun
spannen sich Gespräche
über das Wetter, Wäscheleinen
zähmen knallend den März,
Frauenköpfe, geschäftig
hinter gut gescheitelten Gardinen,
im Radio beginnt der Schulfunk
und auch der Kaufmann
öffnet pünklich,
von Haus zu Haus
schwirrt der Briefträger,
der kleine Posthorn-Kolibri.
Nicht auf
Frieden oder Freiheit
Messias oder Manna
Wunder oder Wahrheit
Antwort oder Amen.
Nein
auf das Klappern
der Müllabfuhr, z.B.
Dienstagmittag,
auf die Ein-Uhr-Nachrichten
oder auf die Frau
von gegenüber, das Elend,
pissgelb und echsenhäutig,
das jeden Tag zur gleichen Zeit
sich seinen Schnaps vom Kiosk
holt, den der Verkäufer pünktlich
auf den Tresen stellt, und den
es immer passend bezahlt,
auch das zeugt von guter Vorbereitung
beiderseits, so hangeln wir uns
von Gewohnheit zu Gewohnheit,
diesem bewährten Schwungseil,
das uns trägt über
Abgründe.
Nein, so etwas haben wir hier nicht:
Äcker und Wiesen, blutschwere Böden,
Erbhöfe und knarrende Holzdielen.
Nein hier, wo weit reger noch
das Gewimmel ist auf steinernen
Ameisenpfaden, wo weit bunter noch
Schriftzüge die Nacht tätowieren und
Flugzeuge leise summen über Beton-Kelchen,
hier haben wir so etwas nicht.
Du sagst, ich hätt’ so offene Augen,
nein, offene Hintertürchen für
leichtsinnig gefiederte Ideen
und den Spottvogel, der
keine Garantien gibt,
unterschrieben mit roter Tinte.
Eingeklinkt in mein Gesicht
vorbehaltene Schleichwege,
frostiger Verrat, gut getarnt
zwischen Lachfalten, doch
schmilzt unter deinen Füßen
mein Eis, dünn und rissig,
laß mir ein wenig Kälte
auf der ich gehen kann.
Pfusch mir ins Handwerk
leg Hand an mich mit deiner Haut
verbrenn die Finger mir
zieh andere Saiten auf, sodaß
mir Hör’n vergeht und Sehen
und deine Lust,
die schärf mir ein
und aus
und ein
für alle Mal knall mich doch ab
vom hohen Roß
mit einem Blick verschlag
die Sprache mir.
Wie du morgens,
beim dritten Hahnenschrei
dich noch verleugnest
den ersten Lichtboten,
die jalousienweise
deinen Nacken schecken.
Und wie du dich dann
langsam drehst, noch
Traumreste in den Mundwinkeln,
und deine Hände greifen
wie Äste einst
Absaloms Haar.
Wie wir dem lieben Gott
die Zeit stehlen
mit hungrigen Gepflogenheiten
das ist fast schon genial.
Wie wir Beute machen und
plündern das Gold
aus dem Mund des Morgens
mit leiser Atemlosigkeit,
das läßt auf Profis schließen,
eine dreiste Bande
Tagediebe.
Du hast mir dein Zeichen
in die Haut geglüht,
dein Herzsiegel,
das bleibt,
darüber wächst kein
dickes Fell.
gebeizt vom Harzgeruch des Januars,
mit dem Frost, der die Lippen
riß wie das Straßenpflaster,
zündeten deine Augen
mich wieder an,
kleine Brandstifterin.
Einmal die Woche, der Takt
war monoton und sicher.
Und schön.
Die Entscheidungen noch leicht
zwischen Vanille- und Birnentee.
Wir verkrochen uns
in unsere Achselhöhlen und
aufgesprungene Hohelieder
wechselten von Mund zu Mund:
O daß ich tausend Zungen hätte.
Das war’n noch süße Muschelzeiten
und wie ich sie liebte,
die Lichtkringel deines Gesichts!
hocken wir zusammen
auf der Heizung
Wollen Sie wissen, wie es weiter geht?
Hier können Sie "Gebrauchte Gedichte" sofort kaufen und weiterlesen:
Amazon
Apple iBookstore
ebook.de
Thalia
Weltbild
Viel Spaß!