Die Grabräuber von Theben
Abend des 10. Tages des dritten Monats im 16. Regierungsjahr Ramses IX.
Paveru stand allein auf der großen Terrasse, von der aus er einen schönen Blick über den Teich, den die Arbeiter schon vor Jahren für ihn angelegt hatten, genießen konnte. Die Nacht war angenehm mild und der Mond spiegelte sich auf der Wasseroberfläche. Achet, die Zeit der Nilschwemme und der großen Hitze des Sommers, war schon fortgeschritten und Peret, die Zeit der Aussaat, näherte sich mit großen Schritten. Die Überschwemmung war in diesem Jahr endlich wieder einmal ausreichend gewesen, sodass die Bauern der Ernte mit gutem Gefühl entgegensehen konnten. Noch immer führte der Nil eine Menge Wasser mit sich, auch wenn er bereits wieder in sein angestammtes Flussbett zurückgekehrt war. Doch über die Ernte machte Paveru sich keine Gedanken. Mit den Feldern der Lebenden hatte er wenig zu tun. Sein Hauptaugenmerk galt den Feldern, die von den Toten bewohnt wurden.
Langsam verließ Paveru die Terrasse und ging in den Garten hinab. Einzelne Fruchtbäume standen hier weit verstreut. Die Villa, die er hier draußen etwas außerhalb von Theben am Westufer des Nil bewohnte, war sehr großzügig gebaut. Passend dazu war der Gartenbereich eher wie ein Park angelegt. Er führte ein gutes Leben, eigentlich. Die Ärzte machten ihm gelegentlich Vorhaltungen wegen seiner extremen Körperfülle. Sie sagten, der runde Bauch und das viele Fett rund um das Kinn wären nicht gut für seine Organe. Aber er aß einfach zu gern, als dass er seine Figur dem anpassen könnte, was die Ärzte für gesund hielten. Außerdem brauchte er keinen Wert auf Schönheitsideale zu legen. Wenn er eine Frau haben wollte, bekam er sie auch.
[…]
"Warum heute Nacht, zu dieser Stunde?", fragte Paveru, noch immer erbost darüber, um seinen Schlaf gebracht worden zu sein.
"Ich habe wichtige Informationen für dich. Du solltest dir anhören, was ich zu sagen habe", antwortete sein Gesprächspartner gleichmütig.
"Habe ich das je nicht getan?"
Der Gast schwieg für einen Moment. Diese beiden Männer verband keine Freundschaft, es war mehr ein gemeinsames Geschäftsinteresse, das sie zusammenschweißte. Aber jeder von ihnen wusste, dass er sich auf den anderen verlassen konnte.
"Also, was hast du mir zu sagen?", fragte Paveru, bemüht seine Stimme nicht allzu gereizt klingen zu lassen.
"Es wird morgen passieren. In den Nachmittagsstunden. Du solltest ihnen zuvorkommen, wenn du deinen Plan durchführen möchtest", erklärte Paverus Besucher eindringlich.
"Ich werde ihn durchführen", murmelte Paveru bestimmt.
"Dann sorge dafür, dass bis zu dem Zeitpunkt, da Re am höchsten steht, die Arbeit getan ist. Sonst wird uns einiges entgehen", entgegnete sein Gast.
"Und du bist dir sicher, dass er der Richtige ist?", fragte Paveru nicht zum ersten Mal, seitdem sie diesen Plan gefasst hatten.
"Er ist der Kopf des Ganzen", bestätigte sein Gegenüber.
Paveru nickte gemächlich. Er dachte nach. Die Entwicklung kam schneller als er gedacht hatte, aber wirklich überrascht war er trotzdem nicht. Es wurde höchste Zeit, dass er etwas tat. Das Westufer war sein Reich. Jemand hatte es gewagt, in dieses Reich einzudringen und seine Spuren zu hinterlassen. Das würde er nicht dulden. Zumindest nicht ohne eine gewisse Gegenleistung.