Diagnose Krebs. Einmal Hölle und zurück
Kapitel 1. Die Diagnose
Im Aufwachraum langsam zu mir kommend, war das Erste, was ich tat, einen Blick auf die Uhr zu werfen, die ich von meinem Bett aus gut sehen konnte. Komisch, dachte ich, das ging aber schnell!, als ich feststellte, dass gerade mal eine gute halbe Stunde vergangen war. Ich wunderte mich, dass ich nach so kurzer Zeit wieder so fit war.
Ein wenig später hörte ich von irgendwoher, dass Frau Wille auf eine andere Station verlegt werden sollte. Warum das denn?, schoss es mir durch den Kopf. Das ungute Gefühl hatte mich sofort wieder im Griff und ich fragte eine Schwester, was denn passiert sei, dass ich auf eine andere Station kommen sollte. Die Schwester versuchte, mich zu beruhigen, und gab mir zu verstehen, dass sich gleich ein Arzt mit mir unterhalten würde, sobald ich auf der Station angekommen wäre.
So wurde ich verlegt.
Die neue Station kannte ich nur zu gut – es war die gynäkologische Station, auf der der Chefarzt, der mich untersucht hatte, tätig war. Diese Station lag mir schwer im Magen, denn hier war Steffi vor drei Jahren an Eierstockkrebs gestorben. Ich hatte sie damals fast täglich besucht, um ihr Kraft und Stärke zu geben, aber im Endeffekt hatte ich ihr nicht helfen können. Sie war nach ihrer Krebs-Diagnose innerhalb eines halben Jahres verstorben. Und nun lag ich hier! Warum? Was war passiert? Auf eine Antwort auf diese Frage musste ich nicht lange warten, denn noch am selben Tag ging die Krankenzimmertür auf und eine Ärztin bat mich, sie ins Ärztezimmer zu begleiten. Es war früher Nach¬mittag und mein Mann war noch nicht da, sodass ich alleine mitging, mich setzte und wartete. Mir war total schlecht vor Aufregung angesichts dessen, was jetzt auf mich zukommen würde. Denn dass es nichts Gutes sein konnte, war mir klar.
Nach kurzer Zeit kam eine junge Ärztin herein und setzte sich mir gegenüber an den Schreibtisch. Sie trug einen weißen Kittel, eine weiße Hose, hatte kurze, blondierte Haare und ein schmales, hartes, slawisch geschnittenes Gesicht mit hohen Wangenknochen. In gebrochenem Deutsch sagte sie zu mir, kaum dass wir uns begrüßt hatten: „Frau Wille, ich hab’ schlechte Nachricht für Sie, Sie haben Krebs.”
Ich hatte es gewusst! Ich hatte gewusst, dass irgendetwas nicht in Ordnung war! Dennoch traf mich die Diagnose wie ein Keulen¬schlag. Dass es so schlimm sein würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Die Tränen schossen mir in die Augen.
Wie betäubt fragte ich: „Was für einen Krebs?”
„Ja”, sagte die Ärztin, „das ist Frage …” Sie beugte sich vor und faltete die Hände auf der Tischplatte. „Wir haben gefunden viele Metastasen in Ihrem Bauch …” Es war offensichtlich, dass sie sich hinter ihrem Gefasel nur versteckte: Sie wusste nur, dass es Krebs war, aber nicht, welche Art. Dennoch probierte sie es aufs Geratewohl mit der Vermutung: „Wahrscheinlich Eier¬stockkrebs …”
„Den hab’ ich nicht!”, rief ich panisch aus und jetzt fing ich richtig an zu weinen. Denn instinktiv wusste ich: Eierstockkrebs überlebst du nicht! Meine beste Freundin war an dieser Art Krebs gestorben – hier in dieser Klinik!
„Naja”, fuhr sie in langsam murmelndem Tonfall fort, indem sie nochmals die Untersuchungsberichte durchsah und sich dabei durch meinen Zustand in keiner Weise stören ließ, „Gebärmutterkrebs können Sie nicht haben, weil Sie ja keine Gebärmutter mehr haben … Darmkrebs … Wissen wir nicht ge¬nau … Der Appendix sah auch schon so befallen aus …” Sie blickte auf. „Das Problem ist: Wir finden den Primärtumor nicht.”
So hilflos wie in diesem Moment habe ich mich in meinem ganzen Leben nicht gefühlt; ich konnte nur sagen: „Ja, und nun?”
Die Ärztin erklärte mir, dass sie mich noch in derselben Woche erneut operieren müssten. Es würde eine große OP werden, die der Chef selbst durchführen würde, da sie nicht abschätzen konnten, wie weit sich der Krebs schon ausgebreitet hatte.