Der Duft von Ambra
Noch in Gedanken an das bevorstehende Treffen versunken, beendete Jezabel ihre Waschungen. Leise öffnete sie eine unscheinbare Tür und schlüpfte in das väterliche Labor. Trotz der herrschenden Dunkelheit fand sie sich mühelos zwischen den Mörsern und Destillierkolben zurecht. Ihre tastende Hand fand das gesuchte Salbgefäß und öffnete vorsichtig den Deckel. Sofort verbreitete sich ein würziger Duft in dem engen Gemach, leicht holzig, ein wenig nussig und sehr intensiv. Mit dem kleinen Finger fuhr das Mädchen in den Tiegel, entnahm eine winzige Menge Salböl und tupfte sich diese hinter die Ohren und auf die Innenseite der Handgelenke, direkt dorthin, wo der Herzschlag pulsierte. Dann führte sie die Hand zur Nase, schnupperte und schloß genießerisch die Augen. Ambra, der süße Duft der Götter.
[…]
„Tochter, was tust du hier?“
Erschrocken wirbelte sie herum, das offene Salbgefäß noch in der Hand.
„Vater! Du bist schon wach!“
Ertappt schaute sie auf den kleinen Mann, der an der offenen Tür stehengeblieben war.
„Ich wollte nur …, ich dachte …Ich wusste nicht, dass du zu dieser Stunde schon auf den Beinen bist, Vater!“
Mit wenigen Schritten war er bei ihr, der dunkle Kaftan umwehte seine dünnen Beine, das Gesicht war in ärgerliche Falten gelegt, jede Regung seines Körpers drückte Unmut aus. Rasch hatte er ihr das Gefäß aus der Hand genommen und mit einem ärgerlichen Schnauben verschloß er den Tiegel.
„Bist du eine Prinzessin, dass du dich mit Ambra und Moschus salbst? Was fällt dir ein, du Närrin? Diese Lotion ist für die Valide Sultan, die erhabene Mutter unseres gnädigen Sultans bestimmt, und hier erwische ich dich mit den Fingern in ihrem Salbtopf! Willst du, dass sie meinen Kopf von ihrem Sohn fordert, weil du deine Eitelkeit nicht bezwingen kannst und dich an ihrem Salböl bedienst?“
„Aber das wird die Valide Sultan doch nicht erfahren, Vater! Es war doch nur ein Hauch, nur eine winzige Menge!“
Kleinlaut war sie nun geworden, denn wenn sie durch ihr unbedachtes Verhalten den Vater verärgerte, wie sollte sie dann seine Erlaubnis erwirken, bei dem Gespräch mit dem persischen Kauffahrer anwesend zu sein?
Sorgfältig wischte Moses das reich verzierte Töpfchen an seinem Gewand ab und stellte es vorsichtig zurück an seinen Platz.
„Was treibst du zu dieser Zeit im Laboratorium? Es ist noch nicht einmal vier Uhr morgens. Warum liegst du nicht auf deiner Lagerstatt und schläfst?“
„Du erwartest doch heute den Händler, der gestern mit der Karawane eingetroffen ist. Oh, bitte, Vater, lass mich bei dem Treffen dabei sein! Lass mich bei euren Verhandlungen zuhören! Ich werde ganz still sein und euch nicht stören! Aber lass mich anwesend sein, wenn der Mann hier ankommt!“
Flehend sah das Mädchen ihren Vater an, hatte sogar, ohne es zu merken, die gefalteten Hände in einer Geste des Bittens zu ihm erhoben. Unter ihrem flehenden Blick glättete sich der Ärger im Gesicht des Alchimisten, mit einem leichten Lächeln strich er ihr über den rötlich glänzenden Scheitel.
„Warum nur hängt dein Herz so sehr an diesem Treffen? Ist es nicht langweilig für eine junge Frau zwei alte Männer bei ihren Geschäften zu beobachten? Was versprichst du dir davon, Kind? Der Händler hat kein Geschmeide im Gepäck, keinen kostbaren Schmuck, keine edlen Wirkwaren, Bänder, Seiden oder Tücher, die das Herz eines jungen, schönen Geschöpfes, wie du es bist, erfreuen könnten. Er wird hier erscheinen in Begleitung seines riesigen nubischen Sklaven, in ärmlicher, unauffälliger Kleidung, um nur kein Aufsehen zu erregen, damit niemand auf den Gedanken kommt, dass er in dem alten Tuchbeutel, den er mit sich führt, weit größere Schätze verbirgt als Gold oder Edelsteine.