Das trojanische Pferd
1. Herkulesaufgabe
Herkules (auch als Herakles bekannt) war schon als Kind ein Teufelskerl. Mit acht Monaten erwürgte der Sohn des Göttervaters Zeus zwei Schlangen, die dessen eifersüchtige Frau Hera eines Nachts auf ihn losgelassen hatte. Später lernte er Wagenlenken, Bogenschießen, Fechten, Faustkampf und Ringen. Auch das Singen und das Spielen auf der Leier eignete er sich an. Herkules, der in seinen jungen Jahren Alkides hieß, war zwar begabt und ehrgeizig, doch seine Nerven hatte er nicht immer im Griff. So erschlug er seinen Musiklehrer Linos mit der Leier, als dieser einmal mit ihm schimpfte.
Auch als Erwachsener war Herkules immer für einen Tobsuchtsanfall gut. Einmal geriet er sogar so sehr in Rage, dass er ohne besonderen Grund seine Frau Megara und seine drei Söhne tötete. Schon bald bereute er jedoch seine Tat und verließ seine Heimat. Durch einen Spruch des Orakels von Delphi gelangte er zu König Eurystheus, der ihm als Sühne für den Totschlag zwölf nahezu unlösbare Aufgaben aufgab. Dazu gehörte unter anderem das Töten der neunköpfigen Schlange Hydra, das Ausmisten der Ställe des Augias, die Beschafffung der goldenen Äpfel der Hesperiden sowie das Hochholen von Cerberus, dem Wachhund der Unterwelt.
Herkules nahm die Herausforderung an und zeigte, was in ihm steckte. Nach und nach löste er alle Aufgaben mit Kraft und List. Das Ausmisten der Augiasställe unternahm er, indem er zwei Flüsse durch die Stallungen leitete. Die goldenen Äpfel der Hesperiden besorgte er sich mit der Hilfe des Riesen Atlas, den er dabei übertölpelte. Auch der Weg der vielköpfigen Hydra war zu Ende, als Herkules gegen sie kämpfte. Trotz der erfolgreichen Arbeit erkannte Eurystheus zwei der Aufgaben nicht als gelöst an, weil Herkules dafür einen Lohn vereinbart oder fremde Hilfe in Anspruch genommen hatte. Dennoch hatte der antike Superheld am Ende seine Schuld gesühnt und konnte sich bei einigen Zeitgenossen rächen, die ihm zwischenzeitlich übel mitgespielt hatten.
Heute bezeichnen wir als Herkulesaufgabe" oder Herkulesarbeit" eine Aufgabe, deren Lösung nahezu übermenschliche Kräfte erfordert. Vermutlich fühlt sich jeder Manager, der die griechische Sagenwelt kennt, manchmal wie ein kleiner Herkules. Schließlich ist das Führen eines Unternehmens oft genug eine Tätigkeit, die nur für einen echten Helden zu bewältigen ist. An die Stelle von Ungeheuern und Fabelwesen treten dabei kaum weniger herausfordernde Kunden, Mitarbeiter und Investoren. Dass eine Herkulesarbeit ursprünglich eine Strafe darstellt und zudem ohne Lohn erbracht werden muss, wird dabei jedoch meist vergessen.
Als größte Herkulesarbeit der deutschen Wirtschaft gilt seit über zehn Jahren die Sanierung der Deutschen Bahn. Als 1994 mit Heinz Dürr der erste Vorstandsvorsitzende seinen Dienst bei der Bahn antrat, hatte dieser die Aufgabe, einen hochdefizitären, verkrusteten Staatskonzern fit für die Marktwirtschaft zu machen. Die Wirtschaftspresse sprach einhellig von einer Herkulesarbeit. An dieser biss sich über ein Jahrzehnt später auch Dürrs Nachnachfolger Hartmut Mehdorn noch die Zähne aus. Ob menschliche Kräfte ausreichen, um die Deutsche Bahn wie geplant in den nächsten Jahren an die Börse zu bringen, ist noch nicht geklärt.