Bedrohte Art. Ein Hamburg-Friedrichstadt-Krimi
Kapitel 1
Konrad Hausmann hatten sie nicht einfach nur ermordet. Sie hatten ihn zerrissen, das ist das richtige Wort. Der Schnitt beginnt am unteren Teil des Bauches und führt weiter bis zur Brust. Er muss mit einem ausgezeichnet scharfen Gegenstand vollzogen worden sein, mit der Akribie und Stabilität eines chirurgischen Werkzeugs. Eine absolut gerade Linie. Die Hände, die dies ausgeführt haben, zitterten ganz sicher nicht.
Während ich die Leiche aus zwei, drei Meter Entfernung betrachte, hält mich etwas an der Stelle, wo ich stehe, gebannt, unfähig einen Schritt nach vorn zu machen. Es sieht nach einer Operation aus, die mit einem einzigen Ziel gestartet wurde: in der Mitte aufzuhören. Du kannst fast noch den Schmerz spüren, wie er Raum und Zeit durchquert, an dir hinauf klettert und sich langsam in deine Haut einkerbt.
Dicke Blutlachen und eine Menge anderer Flüssigkeiten rannen nach links und rechts und durchtränkten die Bettlaken, die Matratze, den Boden. Von Rot und Braun beherrscht, gibt es auch dünnes Grau und dreckiges Grün, durchsichtiges Weiß, alle über unregelmäßige Nebenflüsse in einen finsteren See versammelt. Konrad ruht völlig nackt und auf dem Rücken liegend in seinem Bett, die Beine geschlossen und seine Hände gestreckt. Unmöglich, die Ähnlichkeit mit einem Gekreuzigten nicht zu bemerken. Ihm fehlt natürlich das Kreuz, jedoch nicht der Pathos. Seine Augen starren an die Decke in einem unsagbaren, eisigen Schauder. Er hat seinen Mund, soweit es ihm möglich war geöffnet, aber wahrscheinlich nicht einen Ton herausgebracht. Ein Apfel ist zwischen seinen bläulichen Lippen verkeilt, die Hälfte der Frucht steht hervor.
Seine Beine scheinen fast aneinandergeklebt, offenbar waren sie von Anfang an stramm zusammengebunden, so, wie sie sich jetzt befinden. Ungewiss wie, doch auf eine bestimmte Weise, blieben seine Arme in dieser vom Körper weit weg ausgestreckten Haltung. Professionelle Arbeit.
Es ist das trübe, unsichere Licht, das durch das einzige Fenster des Zimmers hereintritt, welches mich dazu zwingt, ständig mit den Lidern zu blinzeln. Oder eher das abscheuliche Spektakel der Kreuzigung? Ich trete näher an ihn heran, an seinen Handgelenken sind vier, fünf dicke Einschnitte an verschiedenen Stellen zu erkennen. Es scheint mir, dass sie ihn mit etwas metallenem gefesselt haben, als sie ihn in zwei Stücke teilten. Zu dem Zeitpunkt war er noch lebendig und sie wollten ihn so lange wie möglich am Leben halten.
Die gesamte Szene enthüllt die geplante Langsamkeit; dieser Chirurg hat dem Tod seinen eigenen Rhythmus auferlegt. Es ist nicht auszuschließen, dass Konrad verblutet ist, denn der Schnitt an seinem Körper zeigt, dass die inneren Organe nicht getroffen wurden. Wahrscheinlich blieb ihm die Zeit, viel zu denken und zu fühlen, bevor er aus seinem Leben, aus diesem Albtraum fliehen konnte.
Jetzt ist es hier drinnen genauso kalt wie draußen. Die Temperatur dringt beständig und beharrlich herein, auch in meine Gedanken. Ich sehe mich noch einmal um. Das Zimmer, weiß und sauber, nichts weist auf einen Kampf hin. Drei Paar Stiefel in der einen Ecke, ein alter Kassettenrekorder neben zwei Kartons voller Kassetten in der anderen, keine Kleider, außer einem Ledermantel, der hinter die Tür gehängt ist. Noch nicht einmal Staub liegt auf den Gegenständen. Als wäre eine pedantische Putzfrau zeitgleich mit dem Tod vorbeigekommen.
Ich höre nicht den kleinsten Laut aus dem restlichen Teil des Hauses und diese hypnotische Stille erinnert mich daran, dass es Zeit ist, das Schlafzimmer zu verlassen. Außerdem verfüge ich nicht über das nötige Fachwissen, um tiefere Nachforschungen zu betreiben. Bevor ich hinausgehe, mache ich mit meinem Handy fünf Fotos von der Leiche und drei von dem Zimmer. Der Rest ist Aufgabe des Gerichtsmediziners und der Spurensicherung.
Ich gehe ins Wohnzimmer und Angelika sieht mich an, immer noch reglos.