Ascheland
1. März 2023, nördlicher Schwarzwald
Das dunkle Holz der Stiege seufzt unter meinen Schritten. Ich starre hinauf, dem fleckigen Kleid der Frau hinterher. Sie hat es eilig. Ihre rechte Hand mit den frisch, aber unsauber lackierten Fingernägeln hebt den fleckigen Rock eine Handbreit. Als ob er noch zu retten wäre. Kurz hält sie inne, lacht unsicher, ein geisterhaftes, verstörendes Geräusch. Dann steigt sie weiter hinauf. Ohne sich nach mir umzudrehen. Der violette, grob gestrickte Schal auf ihren Schultern verleiht ihr etwas eigenartig Pastorales.
Ich zwinge mich, nicht an den armen Kerl unten in der Wohnküche zu denken. Wie er da hockt, traurig und stumm, den Blick ins erbärmliche Feuer des alten Kachelofens gerichtet. Seinen Filzhut in den Händen drehend und windend, als ob er eine andere Gegenwart aus dem Stoff wringen könnte.
Die Frau heißt Brigitte, sagt sie. Ich registriere den Namen und lasse ihn sofort wieder los. Es ist ein Tauschgeschäft, kein Kennenlernen. Sie muss hübsch gewesen sein, damals, vor ein paar Jahren, vor einer Ewigkeit. Schön sogar. Ein Bild von ihr steht unten auf einer von Würmern zerfressenen Anrichte. Langes, dunkelblondes Haar, strahlende Augen, ein Lächeln zum Sterben.
Jetzt ist davon nicht mehr viel übrig.
Wir sind jetzt oben. Sie öffnet eine schwere Tür, und wir betreten einen dunklen, kleinen Raum. Die Frau entzündet eine kleine Petroleumlampe. Aus dem von Ruß geschwärzten Glas schaut mich mein eigenes Gesicht an. Kurz nur, dann drehe ich mich weg.
Ich kann die Frau nicht anschauen und mich selbst noch weniger.
Ich sollte daran gewöhnt sein, nach all der Zeit. Aber noch immer drängt das Bild des Kerls unten in der Stube in mein Bewusstsein. Ich bin seine einzige Chance auf einen Neuanfang, aber der Weg dorthin raubt ihm den Verstand.
Natürlich.
Die Frau schlüpft mit einer schnellen Bewegung aus ihren Kleidern. Wie ein zerplatzter Traum taumelt der fleckige Rock mit dem Spitzensaum zu Boden und bleibt liegen.
Ich begegne dem unsicheren Blick der Frau, und schenke ihr ein dünnes Lächeln.
Ein Lächeln, das ich geprobt habe, im Spiegel ruhiger Seen. Ein Lächeln, das ihr Sicherheit geben soll. Die Sicherheit, das Richtige zu tun. Und mir die Sicherheit von Nahrung und Unterkunft. Wenn du etwas bekommen willst, musst du etwas geben. Das einzige Gesetz der neuen Welt.
Ich ziehe den nackten Körper der Frau zu mir hin. Sie schaut zu Boden, während ihre Hände kraftlos herunterhängen. Ihre kleinen Fußzehen stoßen gegen meine schweren Stiefel, dann fällt ihr Kopf an meine Schulter und sie weint. Ganz leise.
Ich streiche ihr übers strohige Haar. Führe sie zu dem breiten Bett.
Die Frau zittert, und ich decke sie mit der struppigen Wolldecke zu, die am Fußende liegt. Ich lege meine Hand sanft auf ihre Augen, und sie schließt die Lider.
Ich lege meine Lippen auf ihre, und sie öffnet den Mund. Ich atme warme, stickige Luft aus ihrer Mundhöhle und schließe selbst die Augen.
Ich stelle sie mir vor, wie sie auf dem Foto unten aussieht. Das lange, dunkelblonde Haar. Der zauberhafte Blick. Ich träume sie mir schöner. Damit es schneller geht.
Die Frau beginnt zu stöhnen, leise, fast unhörbar. Vermutlich, um sich selbst in trügerische Leidenschaft zu wiegen. Es ist mir egal. Alles, was hilft, ist willkommen. Ihre Hände legen sich wie kalte Frösche auf meinen Rücken und mein Hinterteil. Ihr Mund will den Kuss nicht lösen, und meine Nase saugt gierig den letzten Rest von Sauerstoff ein, der durch den kleinen Raum wabert.
Als ich in sie eindringe, drängt sich das Bild ihres Mannes vor mein inneres Auge. Wie er da unten in der Stube sitzt, Tränen im Blick, den Filzhut im verkrampften Griff.
Und versaue mir damit um ein Haar das Tauschgeschäft.