Zu Gast im Dritten Reich 1936. Rhapsodie
Die Villa am Meere
Meines Wissens gibt es auf der ganzen Welt keine zweite gleichartige Institution wie das Travemünder Deutsch-Nordische Schriftstellerheim. Das Dritte Reich lädt jetzt also schon zum dritten Mal aus Dänemark, Norwegen und Schweden einen, aus Finnland zwei Autoren - vom finnischen und vom schwedischen Schriftstellerverband - ein, zusammen mit drei deutschen Schriftstellern den Sommer in einer der prächtigsten Villen von Travemünde zu verbringen. Im ersten Sommer vertraten Lauri Viljanen und Tito Colliander4) Finnland, im zweiten Toivo Lyy5) und Ragnar Ekelund6).
Das Dichterhaus, wie die Travemünder die Villa zwanglos nennen, stand ursprünglich in der Verantwortung der in Lübeck ansässigen, bekannten Nordischen Gesellschaft. Seit 1935 verwaltet nun die Reichsschrifttumskammer des Dritten Reiches das Haus selber. Früher war das Dichterhaus tatsächlich lediglich ein Sommerurlaubsplatz, wo sich Schriftsteller aus verschiedenen Nationen treffen konnten. Auch heute gibt es hier zwar nicht den geringsten moralischen Druck, gleichwohl merkt man am Umfang des offiziellen Programms, dass das Haus von einer zielbewussten Führung geleitet wird. So sind etwa alle deutschen Autoren diesmal Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei. Und wir Nordländer mithin Gäste des Dritten Reiches.
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Stampfe dein Bein auf die Erde, Antaeus! Die diesjährige Dichterhaustruppe repräsentiert fast Europa im Kleinformat. Alle Richtungen außer dem Kommunismus sind vertreten, und sogar reingewaschenen Typs.
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Mein größtes Interesse galt natürlich den deutschen Schriftstellern. Drei nationalsozialistische Autoren - und doch wie unterschiedlich alle! Die Idee der "Gleichschaltung" scheint nicht in der Lage zu sein, wenigstens die Individualität der Schriftsteller zu unterbinden.
Der aus dem Saarland stammende Rupert Rupp ist erst 28 Jahre alt. Seinem Äußeren nach entspricht er nur sehr bedingt dem gewöhnlichen Begriff von einem Deutschen. Er ist gebräunt, dunkel und schwarzhaarig wie ein Araber. Rupp wurde zunächst von Beruf Ingenieur. Bei einem Unfall in einer Motorenfabrik verletzte er sich die Augen so schlimm, dass er länger völlig blind war, und während dieser Zeit begann er zu schreiben. Von ihm sind der Gedichtband Die brennende Erde und die Novellensammlung Grenzland im Sturm erschienen. Hauptthema seiner Dichtung sind die Leiden und Erniedrigungen des Saargebiets während der französischen Besatzungszeit, und auch als Redakteur der Zeitschrift Westmark hat er sich als feuriger Kämpfer für die Belange der Saar ausgewiesen. Rupp hat auch schon als Junge in den Reihen von Schlageter aktiv an den Kämpfen teilgenommen. Deshalb ist er so naiv und mit ganzem Herzen Anhänger der Naziideologie wie es ein im Süden geborener Soldatenjüngling nur sein kann.
Rupp stammt aus reichem Hause. Wir beneiden ihn inständig um sein kleines Auto und seine zierliche, anmutige Frau, Tochter eines saarländischen Arbeiters, die eine Woche vor unserer Abreise im Dichterhaus erschien. Neuerdings studiert Rupp Kunsthistorik an der Universität Heidelberg. Der lebhafte, fröhliche und emotionale Rupp ist in seinem lustigen Sportanzug zweifelsohne die dekorativste Erscheinung im Dichterhaus. Er arbeitet zurzeit an einem besonderen literarischen Projekt: Er schreibt eine Gedichtserie zu Zeichnungen, die die Grauen des Krieges an einem gestorbenen, autodidaktischen Arbeiterkämpfer aus dem Saarland abbilden. Größere Originalität oder künstlerische Ambitionen sind in Rupps Texten freilich nicht gerade zu entdecken. Er versucht sich als mystischer, große Worte liebender Quasiphilosoph; aber stark empfundener Schmerz und Beklemmung unter dem Druck der Zeit ist der Jugendgeneration ganz natürlich, für die der Nazismus Ausdruck der Rettung und Quell neuer Kraft und Begeisterung bedeutet.
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