Emotionale Intelligenz
Wir Menschen haben viele Fähigkeiten entwickelt, deren Sinn uns ohne weiteres einleuchtet - z. B. unsere im Vergleich zu anderen Lebewesen enorme manuelle Geschicklichkeit. Sie ermöglichte uns die Produktion von Hilfsmitteln und erleichterte uns damit das tägliche (Über)Leben sehr. Oder nehmen
wir die Fähigkeit zu logischem und kreativem Denken: Sie ist der Motor für die Entwicklung von neuem und führte zu einem unglaublichen Erfindungsreichtum.
Aber welchen Sinn haben die zahlreichen Gefühle mit ihren vielen Nuancen und Varianten? Die Kurzantwort auf diese Frage lautet: Gefühle helfen uns - manchmal in Bruchteilen von Sekunden -, Situationen und Menschen einzuschätzen. Sie mobilisieren im Körper die nötige Energie für die Bewältigung schwieriger Situationen und geben Handlungsimpulse. Sie ermöglichen uns, in einer komplexen Umwelt besser durchzublicken, und ergänzen damit die Arbeit des Verstandes, der das Gleiche mit den Mitteln der Logik versucht. In Entscheidungssituationen sind Gefühle also eine wichtige Instanz - auch wenn Sie es nicht immer merken.
Beispiel: Jobwechsel
Wenn Sie das Angebot bekommen, auf eine bessere Position in einer anderen Niederlassung Ihres Unternehmens zu wechseln, dann werden Sie sich zunächst vorstellen, wie es wäre, wenn Sie es annähmen. Die Gedanken, die Ihnen bei dieser Vorstellung kommen, lösen in Ihnen Emotionen aus - z. B. löst die Vorstellung, Verantwortung für ein großes Team zu haben, Freude, Stolz oder auch Befürchtungen und Selbstzweifel aus. Die Vorstellung, in einer großen Stadt zu leben, triggert Neugier, Freude, Interesse oder auch Unwohlsein und Angst. Die Vorstellung, Ihr bisheriges Leben aufzugeben, bewirkt vielleicht Erleichterung (Endlich komme ich aus diesem Kaff heraus!"), aber vielleicht auch Trauer darüber, Ihre Freunde und Kollegen zurücklassen oder das Haus aufgeben zu müssen. Je nachdem, welche Gefühle Sie bei diesen Vorstellungen entwickeln und wie stark diese sind, werden sie Ihre Entscheidung wesentlich beeinflussen. Wenn Ihr Gefühl der Trauer und Angst überwiegt, wird Ihr Verstand gute Gründe finden, warum das Angebot nicht attraktiv (genug) ist. Sie können aber davon ausgehen, dass Ihr Gefühl erheblich zu dieser Entscheidung beigetragen hat und die rationalen Gründe oft nur vor oder nachgeschoben sind.
Emotionen beeinflussen durch Signale Ihre Entscheidungen. Sie unterstützen Sie dabei, verschiedene Zukunftsszenarien durchzuspielen und die Ihrer Erfahrung nach für Sie günstigste Version zu wählen. Nach allem, was wir heute wissen, sind Emotionen weder Luxuszugaben für romantische Gemüter, ein Privileg des weiblichen Geschlechts noch - mit ihren zerstörerischen Elementen - ein Irrtum der Natur.
Emotionen sind Teil eines hochkomplexen Apparates, der uns Sachverhalte und Situationen einschätzen hilft. Sie bewegen uns dazu, etwas zu tun oder zu lassen, und ermöglichen es uns, flexibel auf immer wieder neue Anforderungen der Umwelt zu reagieren.
Emotionen als Überlebensvorteil
Schon der Evolutionsbiologe Charles Darwin hat sich im 19. Jahrhundert mit Emotionen beschäftigt und gefragt, welche Funktion sie haben. Seine These lautet, dass die Entwicklung von Emotionen zu einem Überlebensvorteil der Spezies Mensch geführt hat. Heute teilen die meisten Forscher Darwins Ansicht, dass Emotionen den Fortschritt der Menschheit enorm begünstigt haben. Emotionen helfen, gesammelte Erfahrungen in kurzer Zeit abzurufen sowie neue Situationen und Menschen einzuschätzen. Sowohl in der Bewältigung von Standardsituationen als auch bei der Entwicklung von Plänen und der Einschätzung von Risiken spielen sie eine herausragende Rolle.
Hilfe in existenziell bedrohlichen Situationen
Emotionen reagieren auf existenziell bedrohliche Situationen schneller als der Verstand.